Funktionstherapie in der Zahnarztpraxis Dr. Lohmann, Dorsten
Die Funktion begleitet mich seit meiner zahntechnischen Ausbildung. Nach inzwischen über 30 Jahren ist sie zu meiner Leidenschaft geworden. Kein anderer Bereich ist so individuell und abwechslungsreich, wie die Funktionsanalyse und Therapie. Wenn Sie uns mit einem funktionellen Problem besuchen, können Sie uns Ihr Anliegen zunächst ausführlich berichten. Diese Angaben werden dann durch eine klinische Funktionsanalyse verfeinert.
Klinische Funktionsanalyse
In der klinischen Funktionsanalyse wird der Funktionszustand des Kauorgans untersucht. Das Zusammenspiel von Zähnen, Kaumuskeln und Kiefergelenken wird beurteilt. Dabei entwickelt sich ein erstes Bild von den individuellen Symptomen und den erkrankten Strukturen.
Instrumentelle Funktionsanalyse
Die instrumentelle Funktionsanalyse ermöglicht das genaue Messen funktioneller Werte. Hierzu werden spezielle Modelle der Kiefer in einen Simulator (Artikulator) übertragen.
Im individuell eingestellten Simulator ist es dann möglich statische und dynamische Zahnkontakte genau zu messen. Es werden die Höhe, Abstände und Winkel sehr präzise erfasst.
Die instrumentelle Funktionsanalyse bietet neben der Beurteilung der Situation auch wichtige Anhaltspunkte um ein realistisches Therapieziel zu ermitteln. Von der Ausgangssituation ist es abhängig, in wieweit funktionelle Veränderungen umgesetzt werden können.
Die Bewegungsaufzeichnung (Condylografie) gibt neben dem Bewegungsfreiraum in den Gelenken auch Aufschluss über die Stabilität der Gelenke. Kiefergelenke sind keine stabilen Gelenke wie etwa Türangeln, sondern eher lockere bindegewebige Verbindungen. Die Kenntnis über die Gelenksituation hilft bei der Beurteilung von Zahnkontakten.
Der diagnostische Wert der Condylografie wird immer wieder angezweifelt. Für mich ist das Wissen über den Bewegungsraum den die Gelenke zur Verfügung haben eine sehr wichtige Information. Der Weg in der zahnärztlichen Funktionstherapie führt über eine Veränderung der statischen und dynamischen Zuordnung des Unterkiefers zum Oberkiefer. Dazu ist die Kenntnis über die Bewegung sehr hilfreich. Sowohl die Aufzeichnung als auch die Auswertung der erfassten Bewegungen erfordert theoretische Kenntnisse und Erfahrung.
Die Schiene
Schienen werden aus hartem Kunststoff gefertigt. Individuell wird entschieden, ob die Schiene für den Unterkiefer oder den Oberkiefer gefertigt wird. Bei Seitwertsbewegungen werden die Seitenzähne getrennt.
Unterkieferschiene
im Mund
Seitwertsbewegung
Zahnfarbene Schiene
Die zahnfarbene, fast unsichtbare Schiene (Münchener Schiene) bietet sich besonders an, wenn die Schiene immer getragen werden soll. Zudem ist es damit auch möglich einen geplanten Zahnersatz auszuprobieren oder die Einheilphase von Implantaten zu überbrücken.
Dieser Schienentyp ist erst durch die digitale Fertigung möglich geworden. Polycarbonat ist ein sehr stabiles Material, das nur gefräst werden kann. Polycarbonat kann sehr dünn gearbeitet werden und ist zudem sehr ästhetisch.
Ausgangssituation
Funktionell gestaltete Schiene und provisorischer Zahnersatz
Knirschen und Pressen
Knirschen und Pressen
Knirschen und Pressen sind Kraftvolle Zahnkontakte, die sowohl im Schlaf als auch wach auftreten. Dieses Verhalten wird heute als Stressventil gesehen. Es ist also nicht als grundsätzlich schlecht, sondern ein physiologischer Teil des Kauorgans. In der Folge kommt es zu Überlastungen in Teilen des Systems.
Natürlich wäre eine Kraftreduktion wünschenswert aber der Stress lässt sich leider nicht immer reduzieren. Eine Schiene kann möglicherweise die eingeübten Verhaltensmuster unterbrechen. Dies ist aber nicht zuverlässig vorhersagbar. Deshalb liegt das Ziel einer Schienentherapie in der Entlastung beteiligter Strukturen (Muskeln, Kiefergelenke…).
Das Kauorgan
Das Kauorgan
Prof. Slavicek sah bereits vor einigen Jahrzehnten die Zähne als Teil des Kauorgans. Im Jahr 2000 veröffentlichte er sein legendäres Buch „Das Kauorgan“. Es ist nicht nur für mich das Standartwerk in der Funktionstherapie. In seinen letzten Büchern beschreibt er die Zähne dann „als härteste Struktur des Körpers, die nur durch Abnutzung zur funktionellen Anpassung fähig sind“. Diese scheinbar einfache Beschreibung beinhaltet wesentliche Aspekte.
Das Kauorgan ist nicht als anatomische Struktur, sondern als funktionelle Einheit beschrieben. Unterschiedliche Strukturen und Funktionen sind Teile dieses Organs. Funktionelle Anpassung ist eine wesentliche Eigenschaft von Organen.
Die Zähne begrenzen durch ihre harte und nahezu unveränderbare Form die Anpassungsfähigkeit des Kauorgans.
Die Zahnheilkunde beeinflusst das Kauorgan. Ob Veränderungen an den Zähnen Folgen (positive oder negative) für das System haben, liegt auch an der Anpassungsfähigkeit des Patienten. Wurde dem System bereits ein hohes Maß an Anpassung abverlangt, können auch kleine Veränderungen das System zum Entgleisen bringen.
Therapeutisch wird der positive Effekt von Veränderungen ausgenutzt. Das ist das Grundprinzip einer Schienentherapie.
Der oft als ganzheitlicher Ansatz beschriebene zahnärztliche Blick über die Zähne hinaus ist bei der Definition der Zähne als Teil eines Organes nur folgerichtig.
Der Zahnarzt ist immer auch Kauorganarzt.
Was sind Funktionsstörungen im Kauorgan/ CMD
Funktionsstörungen im Kauorgan werden häufig unter dem Sammelbegriff CMD (cranio-mandibuläre Dysfunktion) zusammengefasst. Es handelt sich um eine Störung im Zusammenspiel zwischen beweglichem Unterkiefer und der Schädelbasis. Leider wird CMD häufig als Diagnose angesehen. Natürlich ist es verständlich, wenn Patienten nach einer Diagnose suchen und auch die Vorstellung, dass eine CMD mit einer Schiene ganz einfach zu heilen wäre ist verlockend. Leider ist dem nicht so.
Es bietet sich der Vergleich mit Herzproblemen an. Herzprobleme können sehr vielfältig sein. Deshalb ist auch die Therapie hoch individuell. Manchmal kann der Hausarzt helfen, aber es gibt auch Herzspezialisten. Bei der CMD ist das nicht anders. Es gibt auch hier einfacher und schwerer zu behandelnde Störungen. Eine umfangreiche Weiterbildung in Funktionsdiagnostik und Therapie und natürlich therapeutische Erfahrung ermöglichen eine genauere Diagnose und eine gezieltere Therapie. An der Therapie sind auch andere Disziplinen beteiligt.
In vielen Fällen sind Patienten mit den zahnmedizinischen Möglichkeiten gut behandelbar. Insbesondere, wenn eine hohe Kaumuskelaktivität (Knirschen/ Pressen) zu beobachten ist, oder wenn Kiefergelenksprobleme (Schmerzen, Reiben, Knirschen) bestehen, sollte ein Zahnmediziner hinzugezogen werden.
Wie äußert sich eine CMD?
Die Symptome einer CMD sind vielfältig. Häufig zu beobachten sind muskuläre Beschwerden und Verspannungen, Kopfschmerzen sowie Kiefergelenksbeschwerden. Unsere CMD Schnelltest gibt einen Überblick. Oft ist der Zusammenhang zu den Zähnen nicht offensichtlich.
Häufig ist eine starke Aktivität der Kaumuskeln (Knirschen/ Pressen) als unterhaltender Faktor zu beobachten. Durch die sehr hohen Kräfte sind Be- und Überlastungssituationen in unterschiedlichen Strukturen zu beobachten. Symptome können auch in entfernteren Regionen oder sehr unspezifisch auftreten.
Wie entwickeln sich Funktionsstörungen?
Der Körper als biologisches System besteht aus nahezu unendlich vielen funktionellen Einheiten. Es ist ein großes Wunder, dass diese Einheiten in der Regel sehr gut koordiniert den gesamten Organismus funktionstüchtig halten. Treten Störungen oder Unregelmäßigkeiten in einzelnen Teilen auf, greifen Steuermechanismen, die die Funktion trotzdem sichern. Diese Anpassung ist Teil der physiologischen Abläufe.
Erst wenn die Anpassungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, wird sichtbar, dass etwas nicht stimmt. Es entwickeln sich Symptome. Die Ursache einer Funktionsstörung ist deshalb nicht nur am Ort der Beschwerden zu finden. Dies beinhaltet auch die Psyche als wesentlichen Teil des Menschen.
Mit Blick auf die Zähne bedeutet dies, dass die Zahnheilkunde nicht auf die Reparatur von Zahnhartsubstanz reduziert werden kann. Veränderungen wie Füllungen oder Zahnersatz werden in der Regel gut angenommen. Zum Glück werden Veränderungen an den Zähnen nur selten zum Problem. Vor Veränderungen und bei Problemen ist immer ein Blick auf die Gesamtsituation angezeigt.
Manchmal ist es scheinbar eine Kleinigkeit, die das System entgleisen lässt.
Wie läuft die Funktionstherapie ab?
In der Funktionstherapie gibt es weder den einen richtigen Weg, noch eine Wunderschiene. Der Funktionszustand des Kauorgans unterliegt vielen Einflüssen. Deshalb sind viele therapeutische Wege möglich und gerechtfertigt.
Die Zähne haben durch ihre Form und Stellung großen Einfluss auf die Kaumuskulatur. Hinzu kommt, dass die Form der Zähne unveränderlich und auch die Zahnstellung sehr stabil ist. Da die Kaukräfte sehr groß sein können, ist eine Überlastung des Systems und seiner Strukturen möglich. Deshalb ist es ratsam die Situation zahnmedizinisch zu untersuchen und die therapeutischen Möglichkeiten auszunutzen.
Die funktionelle Analyse beginnt immer mit einem ausführlichen Gespräch (Anamnese). Bereits hier werden viele individuelle Aspekte einer möglichen Funktionsstörung deutlich. Für Funktionsstörungen wird gerne die Abkürzung CMD (cranio-mandibuläre Funktionsstörung) verwendet. Dies ist leider keine individuelle Diagnose, sondern eine grobe Einordnung, wie etwa „Herzprobleme“. Funktionsstörungen sind sehr individuell. Deshalb kann es auch keine immer gleiche Untersuchung oder Therapie geben.
Durch eine aufeinander abgestimmte Folge von Untersuchungen ergibt sich ein immer genaueres Krankheitsbild. Hierzu stehen zunächst weniger aufwändige klinische und in der Folge aufwändigere instrumentelle Methoden zur Verfügung. Bildgebende Verfahren können in besonderen Fällen die Diagnose erhärten.
Aufbauend auf der Diagnose wird in der Regel eine individuell gefertigte Schiene folgen. Das erreichbare Therapieziel liegt zwischen der Linderung der Beschwerden und der vollständigen Genesung.
Eine „gute Schiene“ basiert auf dem Wissen des Behandlers und berücksichtigt die Individualität des Patienten. Der Wirkmechanismus ist dabei eine veränderte Abstützung des Unterkiefers am Oberkiefer (statische Okklusion) und die Kontrolle der Bewegung der unteren Zähne entlang der oberen Zähne (dynamische Okklusion).
Wie funktioniert die Schiene?
In der Vergangenheit wurden verschiedene Schienen in unterschiedlichem Design und aus unterschiedlichen Materialien vorgeschlagen.
Wenn man die Biologie als funktionelles Vorbild nimmt, bietet sich die harte Schiene mit eindeutiger Zuordnung des Unterkiefers zum Oberkiefer und der Trennung der Seitenzähne bei Seitwerts- und Vorschubbewegungen an. Diese Konstruktionsmerkmale sind wissenschaftlich bestätigt.
Es werden funktionelle Grundprinzipien der Zahnkontakte simuliert. Die statischen und dynamischen Veränderungen sollen das System individuell entlasten. In wieweit die Schiene eine Linderung herbeiführen kann ist individuell unterschiedlich. Dies verwundert auch nicht, wenn man bedenkt, dass die Zähne und damit die Zahnkontakte nur einen Teil des komplexen menschlichen Organismus darstellen.
Was folgt nach der Schiene?
In der Vergangenheit wurde die erfolgreiche Schienentherapie als Beleg für die dentale Ursache einer Funktionsstörung angesehen. Daraus wurde fast automatisch die Notwendigkeit einer dentalen Veränderung abgeleitet. Das kann man heute nicht mehr so uneingeschränkt und zwangsläufig stehenlassen. Die rein mechanische Sichtweise ist in vielen Punkten widerlegt.
Eine bleibende Veränderung der Zähne etwa durch Einschleifen, Überkronen oder Kieferorthopädie sollte gründlich abgewogen werden.
Ist allerdings unabhängig von der funktionellen Situation der Bedarf für beispielsweise den Ersatz fehlender Zahnsubstanz (starke Abnutzung) gegeben, sind funktionelle Aspekte sehr genau zu berücksichtigen.
Auch nach einer umfangreichen Restauration ist in einigen Fällen das Tragen einer Schiene sinnvoll.
Veröffentlichungen
Wenn die Schiene nicht hilft.
Schienen helfen zuverlässig und regelmäßig.
Gerade in funktionsorientierten Zahnarztpraxen stellen sich aber auch Patienten mit einer umfangreichen und vor allem gewissenhaft durchgeführten zahnmedizinischen Vorgeschichte vor. Nicht alle diese Patienten leiden an einer zahnmedizinisch therapierbaren Funktionsstörung.
Von den funktionellen Störungen zu unterscheiden sind Beschwerdebilder, die scheinbar einen funktionellen Ursprung haben, aber nicht mit zahnmedizinischen Maßnahmen beeinflusst werden können. Bei diesen Störungen ist die Schienentherapie nicht oder nicht von anhaltendem Erfolg. Die Situation der betroffenen Patienten scheint sich oft mit kurzen Phasen der Besserung kontinuierlich zu verschlechtern.
Eine solche Situation zu erkennen ist nicht immer einfach, erspart aber möglicherweise weitere sinnlose und aufwändige Maßnahmen. Patienten berichten nicht selten verzweifelt von aufwändigen zahnmedizinischen Therapieversuchen. Dann ist es hilfreich auch alle scheinbar gescheiterten Therapieversuche zu berücksichtigen.
Selbstverständlich ist es unsere Aufgabe umfangreich zu informieren. Es ist aber auch unsere Aufgabe von sinnlosen Therapieversuchen abzuraten.